Sanierung der Gleishallen im Frankfurter Hauptbahnhof

Exkursion am 26.3.2004 nach Frankfurt/Main

1. Baugeschichte: Architektur – Empfangsgebäude
(Architekt Hermann Eggert)

Vor Ort gab zunächst Frau Architektin Dipl.-Ing. Carola Mundelsee einen baugeschichtlichen Überblick zum Empfangsgebäude, das im Stil des Historismus (v.a. Neo-Renaissance) errichtet wurde. 1888 wurde der „Centralbahnhof“ eröffnet, der 3 Bahnhöfe ersetzte - damals hatte er nur eine dreischiffige Gleishalle aus Stahl mit 18 Gleisen und lag ca 600 m vor der Stadt auf freiem Feld. Das zunächst 210 m lange Empfangsgebäude mit einer Fassade aus gelbem Sandstein ist symmetrisch angelegt, in der Mittelachse befindet sich die 23 m hohe Eingangshalle.

1924 wurden aus Kapazitätsgründen sechs weitere Gleise dem Bahnhof hinzugefügt, zwei einschiffige niedrigere Gleishallen dafür errichtet und das Empfangsgebäude so auf 270 m erweitert.

Während des 2. Weltkriegs wurden zahlreiche Gleisanlagen, Teile der Gleishallen sowie ein Großteil des Südflügels des Empfangsgebäudes durch Bomben zerstört.

Nach 1945 wurden die Schäden an Empfangsgebäude und Gleishallen beseitigt – in den folgenden Jahrzehnten die Bauunterhaltung der Gleishallen jedoch total vernachlässigt, so daß die „ganz dicke Rechnung“ unabweislich kommen mußte : Die letzte vorgeschriebene Standsicherheitskontrolle in 2002 attestierte schwerwiegende Korrosionsschäden an der Hallenkonstruktion, die einen Teil-Einsturz bei Schneelast verursachen könnten. Des weiteren wurde festgestellt, daß eine vollständige Erneuerung der Dachhaut und der Entwässerung notwendig ist – auch die gläsernen Hallenschürzen, welche die Gleishallen westlich und östlich abschließen, müssen komplett erneuert werden. Folgerichtig musste in 2002 mit den erforderlichen Sicherungs-und Baumaßnahmen begonnen werden

2. Bautechnik: Sanierung der Gleishallen

Nach soviel von Frau Mundelsee spannend vorgetragener Baugeschichte übernahm Herr Dipl.-Ing. Rücker – Projektleiter bei der DB Projekt Bau GmbH – die Führung auf der Montageplattform über den Gleisen.

Er führte aus, dass der Frankfurter Hauptbahnhof heute die bundesweit wichtigste Drehscheibe im Zugverkehr ist und ihn ca 700 Züge und 350.000 Reisende täglich frequentieren, die durch die Bauarbeiten nicht gravierend behindert werden dürfen. Bis zur Fußball-WM Mitte 2006 sollen die Arbeiten „über dem rollenden Rad“ abgeschlossen und der Hauptbahnhof optisch in den Zustand seiner Erbauungszeit zurückversetzt sein.

In Spitzenzeiten sind bis zu 100 Fachkräfte der M.C.E VOEST aus Linz – dieses Konsortium hatte die europaweite Ausschreibung für sich entschieden – in drei Schichten rund um die Uhr auf der Baustelle im Einsatz. Mit einem Investitionsvolumen von 117 Mio EURO werden die Gleishallen komplett saniert, wobei auf die Montageplattform ca die Hälfte (!) der Baukosten entfällt.

Diese stählerne Montageplattform – ca 6.000 t schwer und mit einer von Lastwagen / Montagekränen befahrbaren Betondecke in 8,50 m Höhe über den Gleisen versehen – ruht auf ca 530 Stützen / Rahmenstielen. Baustatisch mußten hierfür zahlreiche „Lastfälle“ ( v.a. im Hinblick auf die Stabilität wie Knicken und Kippen der Konstruktionsteile ) untersucht werden. Erschwerend kommt hinzu, daß sich unter der gesamten Anlage des Hauptbahnhofs eine Vielzahl an Hohlräumen und Verbindungstunneln befindet – ca 100 Stützen / Rahmenstiele mußten daher durch die Bahnsteigebene und die darunter liegenden Räume gegründet werden.

Die „Füße“ der Bogen-Binder ( Dreigelenkbogen) können bis in eine Höhe von 9,50 m original erhalten werden – die darüber liegenden Binder-Teile müssen aus Korrosionsgründen segmentweise gegen neue maßangefertigte ausgetauscht werden ; zur Verbindung werden anstelle von Nieten HV-Schrauben mit abgerundeten Ecken eingesetzt – aus der Ferne sehen diese wie Nieten aus – ein Kompromiss mit der Denkmalpflege für das seit 1972 unter Denkmalschutz stehende Ensemble.

Unter Berücksichtigung des Denkmalschutzes werden insgesamt ca 4.500 Tonnen Stahl ausgetauscht und 50.000 Quadratmeter Glasflächen für die Hallendächer und die seitlichen Hallenschürzen montiert, bevor die Gleishallen wieder in ihrem alten Glanz „erstrahlen“ können - sie werden wesentlich heller als im jetzigen Zustand. Die Bogen-Binder, die die Dächer tragen, waren im Originalzustand hell- und nicht dunkelgrau gestrichen – Schicht um Schicht waren die Farbaufträge der vergangenen Jahrzehnte abgelöst worden, bis die Experten von der Denkmalpflege die Ursprungsfarbe bestimmen konnten.

3. Baugeschichte: Ingenieurbaukunst – Dreischiffige Gleishalle von 1888
(Ingenieur Johann Wilhelm Schwedler)

Im Anschluß an die Begehung auf der Montageplattform hatte Dipl.-Ing. Edward Kiel Gelegenheit, auf einem Bahnsteig einen technikgeschichtlichen Abriß zu geben zu: Johann Wilhelm Schwedler und seine Frankfurter Gleishalle Schwedler (Berlin – 1823 / 94) war ein genialer Bau-Ingenieur – zeitlebens im Preussischen Staatsdienst tätig. Er entwickelte im Stahlbau die nach ihm benannte und oft ausgeführte S.-Kuppel, z.B. 1866 bei der Synagoge Oranienburger Straße in Berlin (Architekten Knoblauch / Stüler).

Ab 1866 war er Professor für Bau-Konstruktion an Schinkels Bauakademie in Berlin.

Wie vor ihm Schinkel für den preussischen Hochbau hatte Schwedler eine ebensolche Position für den Ingenieurbau inne: Alle zu bauenden Brücken, Kuppeln und weitgespannten Hallen gingen über seinen Schreibtisch.

Er war die Koryphäe für Gleishallen und entwarf solche u.a. 1866/71 für den Ost- und Lehrter Bahnhof in Berlin.

In Frankfurt setzte Schwedler gegen den Vorschlag von Architekt Hermann Eggert, der für die dreischiffige Gleishalle gestelzte Flachbogen vorschlug, den von ihm entwickelten Dreigelenkbogen durch. Baustatisch ist der Dreigelenkbogen ein Bogentragwerk - bestehend aus 2 Bogenhälften, die mit dem Fundament durch Fußgelenke und miteinander durch ein Scheitelgelenk verbunden sind. Konstruktiv durch den Einbau der Gelenke aufwändig, hat er in statischer Hinsicht Vorteile:

  • er ist ein statisch bestimmtes System und als solches einfach zu berechnen;
  • des weiteren treten durch die Beweglichkeit der Bogenhälften zueinander keine Zwangsspannungen infolge unterschiedlicher Temperaturen oder ungleicher Fundamentsetzungen auf.

Seine Frankfurter Gleishalle - 1884 bis 1888 von der Stahlbaufirma Gutehoffnungshütte Oberhausen errichtet – besteht aus 3 parallelen Schiffen von je 56 m Spannweite und 29 m Scheitelhöhe. Jedes Schiff wird von 20 Dreigelenkbogen mit Ober- und Untergurten aus Fachwerk überspannt, die untereinander 9,30 m Abstand haben – womit sich eine Hallenlänge von 186 m ergibt. Der hohe Hallenraum war übrigens für den Rauchabzug der Dampfloks notwendig. Die leicht überhöhten Kreisbogen zeigen einen ungebrochenen Linienfluß vom Fuß- zum Scheitelgelenk - Ober-und Untergurte gleiten zum Scheitel hin immer enger zusammen, wobei das Fachwerk am Scheitel und an den Fußpunkten von vollen Blechprofilen abgelöst wird. Die Verglasung der Dachhaut wurde in Form kleiner Satteldächer nach Paxtons „ridge- and-furrow“- System vom Kristallpalast zur Weltausstellung 1851 in London ausgeführt.

Die Frankfurter Gleishalle war seinerzeit so „High-Tech“ im weitgespannten Hallenbau, daß der französische Ingenieur Contamin den Dreigelenkbogen Schwedlers für den Bau der Maschinenhalle („Galerie des machines“) zur Weltausstellung 1889 in Paris übernahm, nachdem er dem Architekten Dutert zunächst eine anderes Tragwerk vorgeschlagen hatte. Die Dimensionen dieser auf dem Marsfeld in der Achse zum Eiffel-Turm errichteten Halle waren gigantisch:

  • Spannweite 115m..... 56 m in Frankfurt
  • Hallenlänge 423m.... 186 m in Frankfurt
  • Höhe 45 m................... 29 m in Frankfurt

Was Eiffels Turm damals in der Höhe - brachte Contamins „Galerie des machines“ in der Spannweite durch Einsatz des Dreigelenkbogens: Beide Bauwerke waren für Jahrzehnte unerreicht in ihren Dimensionen und m.E. auch in ihrer Ausstrahlung auf ihre Besucher.

Von Schwedlers Gleishalle in Frankfurt ausgehend, war so in Paris in noch größerem Maßstab ein völlig neues Raumkonzept umgesetzt worden. Dr.- Ing. Christian Schädlich, emeritierter Professor für Baugeschichte an der ehem. HAB in Weimar, schreibt dazu:

„Alle an den überlieferten Steinbau geknüpften ästhetischen Vorstellungen sind hier gleichsam auf den Kopf gestellt. Mit der punktförmigen Auflagerung der großen Massen, mit dem scheinbar schwebenden Gewölbe und der Transparenz der ganzen Konstruktion sind - wie in den Gleishallen der Bahnhöfe - neue ästhetische Wirkungsgesetze postuliert, die begreiflicher Weise nicht alle Betrachter sogleich als legitime Mittel der Architektur akzeptieren. Die Architektur lebt hier aus den Gesetzen der vollendet durchgebildeten und sichtbar gelassenen Eisenkonstruktion.“

zitiert aus: Christian Schädlich „Das Eisen in der Architektur des 19. Jahrhunderts“ - Habil.Schrift an der Hochschule für Architektur und Bauwesen, Weimar 1967 -

Für die Geschichte der Ingenieurbaukunst war der Abbruch der Pariser „Galerie des machines“ im Jahre 1910 ein nicht ersetzbarer Verlust.

So gesehen wissen wir es wohl zu schätzen, daß uns Schwedlers Gleishalle in Frankfurt als Vor„bau“ für Paris erhalten blieb und in 2 Jahren in neuem Glanz erstrahlen wird.

4. Abschluss: Café / Restaurant „Cosmopolitan“ im Empfangsgebäude des Hbf

Nach soviel Eindrücken und Wissensaneignung trafen sich zum Abschluß die Teilnehmer/innen im angenehmen „Cosmopolitan“ bei Kaffee und Kuchen o.ä. zu nicht nur fachlichen Gesprächen mit neuen Einsichten.

An Architekturgeschichte und Denkmalschutz in der Praxis und vor Ort immer interessiert, hatten auf freundliche Einladung des MAIV auch Professor Dr. Christian Freigang vom Kunstgeschichtlichen Institut der Universität Frankfurt und einige Studierende aus seinem Seminar an der Exkursion teilgenommen. Sein Seminar mit dem Thema „Vom Greek Revival zur virtuellen Architektur: Grundkonzepte der Architektur vom späten 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart“ war absolut spannend, wie der Berichterstatter wohl bestätigen kann - wurde doch u.a. sein bevorzugtes Thema „Architekt und Ingenieur“ behandelt.

Langen, 26.7.2004
Edward Kiel

Der MAIV dankt Frau Mundelsee und Herrn Kiel für die hervorragend vorbereitete und durchgeführte Fachexkursion, die mit 2 Fortbildungspunkten gemäß der Fortbildungsordnung der Architekten und Stadtplanerkammer Hessen (AKH) bewertet wurde.

Foto 1:
Zzeigt Herrn Kiel bei seinem technikgeschichtlichen Abriß

Foto 2:
Zzeigt den Blick auf einige sanierte Bogenbinder von der Montageplattform aus gesehen.

 
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