Vortrag zum Jahresabschluss 2003 des MAIV

Altes Schalthaus, 25.11.2003, 19.00 Uhr

Thema "Revitalisierung des Neufert-Meisterbaus"
P.Karle / R.Buxbaum Freie Architekten • Diplom Ingenieure, Darmstadt

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Viele der am Projekt "Revitalisierung des Neufert-Meisterbaus " – Beteiligte sind Mitglieder des MAIV´s.
Der Bauherr, die Bauverein AG, als förderndes Mitglied,
Herr Dr. Rösch und Herr Dr. Braun, die Vorstandsvorsitzenden der Bauverein-AG /
Herr Dipl.-Ing. Schlier, Tragwerksplaner des Ing. Büros Schlier und Partner /
Herr Dipl.-Ing. Bernhardt, Prüfingenieur, Büro Bernhardt & Mertens Ingenieurgesellschaft /
Herr Ltd. Baudirektor Dipl.-Ing. Architekt Zechner, Bauaufsicht Darmstadt
und ich Ramona Buxbaum, Dipl.-Ing. Architektin, Architekturbüro P.Karle / R.Buxbaum Freie Architekten • Diplom Ingenieure

Es freut mich sehr heute Abend über unser Projekt gemeinsam mit dem Tragwerksplaner und dem Prüfingenieur über das Projekt "Revitalisierung des Neufert-Meisterbaus" zu berichten.
Sie sehen, dass damit der Gedanke des MAIV´s eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Architekten und Ingenieuren zu fördern, bei diesem Projekt erfolgreich umgesetzt wurde.

 

Ausgangsposition und Geschichte des Projektes:

Darmstadt wurde durch den 2. Weltkrieg sehr stark zerstört.

Es wurde dringend Wohnraum benötigt. Dennoch besann man sich die Tradition der „Darmstadter Gespräche“ wieder aufzugreifen und vor dem Wiederaufbau inne zu halten.

Bei den „Darmstädter Gesprächen“ 1951 lautete das Thema "Mensch & Raum".

Es wurden sog. Meisterarchitekten mit Meisterbauten beauftragt, 11 Entwürfe wurden in einer Ausstellung vorgestellt.

Ernst Neufert, der Verfasser der Bauentwurfslehre und Professor an der Technischen Hochschule am Fachgebiet Baukonstruktion und Industriebau, war einer der „Meisterarchitekten“.

Sein Ledigenwohnheim wurde als 1 von 5 realisierten Meisterbauten von der Bauverein AG am Fuße der Mathildenhöhe von 1952 bis 1955 errichtet.

Herausragend ist, dass es das einziges Wohngebäude von Ernst Neufert ist, abgesehen von seinen eigenen Wohnhäusern in Darmstadt, Weimar und in der Schweiz.

Der Neufert-Meisterbau stellt einen wichtigen Beitrag zur Nachkriegsarchitektur in Deutschland dar. Es verfügte über 156 Wohneinheiten, davon 90 % als 1-Zimmer Apartments mit 25 qm. 10 % der Wohneinheiten waren 2-3 Zimmerwohnungen.

 

Anforderungsprofil / Aufgabenstellung:

Anlass zum Umbau für die Bauverein-AG war 1996 die hohe Fluktuation und das das bestehende Angebot der Wohnungen den heutigen Ansprüchen an Wohnraum nicht mehr entsprach hinsichtlich folgender Gründe:

  • ungenügende Wohnungsgröße ( 25 qm je Apartment ),
  • veraltete technische Gebäudeausstattung ( Deckenstrahlheizung, etc. ),
  • ungenügender Schallschutz, ( 11,5 cm starke Wohnungstrennwände, etc. )
  • ungenügender Wärmeschutz ( durchbindende Stahlbetonbauteile, etc )
  • ungenügender Brandschutz ( keine Brandabschnitte, etc. )

Die Komplexität der Aufgabenstellung und die Tatsache, das es sich um ein bedeutendes Gebäude handelt, das unter Denkmalschutz steht, erforderte eine enge und konstruktive Zusammenarbeit zwischen Bauherr / Architekten / Fachingenieuren und Bauphysikern, die fruchtbar und erfolgreich war.

Für uns als Architekten war wesentlich dem Bauherrn, der sehr viel Geld investiert, über die gewünschte Sanierung und Umbau hinaus einen Mehrwert für zuschaffen.

Dies wurde durch folgende Maßnahmen erreicht:

  • Ausbau des ungenutzten Trockenbodens im Dachgeschoß zu Wohnraum
  • Reduzierung der Flure und Umwandlung in Wohnraum

Nach dem Umbau wurde ein Wohnungsangebot geschaffen, dass dem Standort Mathildenhöhe angemessen ist und erfolgreich vermarktet wurde.

 

Ergebnis nach der Revitalisierung:

Insgesamt wurden 83 neue Wohneinheiten mit 3 verschiedenen Wohnungstypen realisiert.

Im Gebäudering:

  • Geschosswohnungen, die durch Zusammenfassen von 2-3 Appartements auf einer Etage zu 2 bzw. 3 Zi-WE entstanden und zusätzlich in Abstimmung mit Denkmalschutz
  • Erhalt und Sanierung von 10 Original „Neufert-Apartments“
  • Erhalt und Sanierung von 19 Original „Eckwohnungen“
  • Im Hochhaus:
    Maisonette-Wohnungen nach dem Prinzip der „Unité d´habitation“ von Le Corbusier durch Zusammenfassen von 3 Apartments auf zwei Etagen; davon 2 auf einer Ebene, mit der neuen Qualität des „Durchwohnens“
  • Atriumwohnungen im ausgebauten Dachgeschoß, Atrien als Freibereich bzw. Dachterrasse, Lichthof, Zentrum der Wohnung, auf der Ostseite Wohnräume, (Wohnzimmer, Küche), auf der Westseite Rückzugsräume (Schlafräume)

 

Architekturauffassung und Herangehensweise:

Der bestehende Baukörper hat eine sehr starke physische Präsenz. Unserer Meinung nach macht es keinen Sinn Alt gegen Neu auszuspielen, die Arbeitsweise mit dem Gebäude ist versöhnlich und integrativ.

Von außen wurde eine behutsame Sanierung und Wiederherstellung des Baukörpers durchgeführt, die Neufert´schen Fassaden blieben unverändert erhalten.

Von innen wurde die bestehende Struktur des bestehenden Gebäudes aufgegriffen und verstärkt.

Es wurden nur geringfügige Eingriffe und Ergänzungen durchgeführt.

Und darüber hinaus wurden ablesbare gestalterische Eingriffe, die als eigenständiges Gestaltungskonzept erkennbar sind, geschaffen.

In den halböffentlichen Bereichen: neu gestaltete Eingangsbereiche mit hinterleuchteten Briefkästenräumen, Wohnungseingänge als „Portal“ / Stockwerks Nummerierung, etc.

In den Maisonette-Wohnungen gibt es als charakteristisches Element eine Maisonette-Treppe, ein Art möbelartiger Einbau; Die Atrien sind das charakteristische Element des Atrium-Wohnungstyps und es ist gleichzeitig Zentrum der Dachgeschosswohnungen.

Besonders hervorzuheben ist, und das hat uns als Architekten sehr gefreut, dass in den Augen einer Fachjury die Maßnahme nicht nur in architektonischer und denkmalpflegerischer Hinsicht, sondern auch unter wirtschaftlich-ökonomischen Gesichtspunkten gelungen ist.

Die gute Vermarktung des Projektes durch die Bauverein-AG hat dies bestätigt.

 

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit

Ramona Buxbaum
Dipl.-Ing. ArchitektinP.Karle / R.Buxbaum Freie Architekten • Diplom Ingenieure, Darmstadt

Veröffentlichungen ( Auszug ):
Buchpublikation Opus 50 Edition Menges 2003
Detail 10/2003
Bundesbaublatt 10/2003
Trockenbau / Akustik 12/2003
Bauwelt 5/2003
Deutsches Architekten Blatt 8/2002

Auszeichnungen:
Tag der Architektur 2002
Joseph-Maria-Olbrich-Plakette für gute Architektur 2003 des BDA Hessen
Preisträger des Bundeswettbewerbs "Denkmalschutz und Erhalt historischer
Bausubstanz - die wirtschaftliche Alternative zum Neubau" 2003 -
Auszeichnung des Bundes Heimat und Umwelt in Deutschland ( BHU ), Bonn
Innovationspreis der Badenia Wohnvorsorge 2003, 1. Preis

 
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